Sonntag, 29. Juni 2014

Deutschland und Israel - Ein schwieriges Verhältnis auf Entspannungskurs?


Deutschland und Israel - Ein schwieriges Verhältnis auf Entspannungskurs?

Wer nach Israel fährt muss sich immer wieder mit sehr kontroversen Themen und Fragen auseinandersetzen. Nach unserer Reise 2006 brach der Libanonkrieg aus, 2008 waren es die Aktionen im Zusammenhang mit den Raketenangriffen aus dem Gaza-Streifen, 2010 waren wir während der Flotilla-Affäre zu einem Gastbesuch in ShaarHanegev bei Sderot, dieses Mal standen wir auf dem Golan und unsere Reiseleiterin durfte nicht nach Jericho wegen der entführten israelischen Jugendlichen. Die Gewalt und Dramatik der Situation löst immer wieder Diskussionen aus? Was kann man tun? Wer ist Schuld an dieser Situation? Wie könnte der Konflikt gelöst werden? Welche Seite müsste nachgeben. Das ist schwierig und unbequem, aber daher rührt auch der Bildungswert, der dem Thema innewohnt. So sollen auch auf diesem Reiseblog Denkanstöße und Kontroversen ihren Platz finden und auch die Frage: Ist Kritik an Israel erlaubt? Hier einige Zitate aus Israel kurzgefasst (von Gisela Dachs) mit einem bei der Überschrift (Auflage Juli 2013, S. 118) hinzugefügten Fragezeichen. Der Download der aktuellen Broschüre von der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung empfiehlt sich allemal, auch der der Länderinformation bzw. des bald erscheinenden Länderberichts.

Bei Begegnungen zwischen Israelis und Deutschen stehen die israelische Gegenwart und die deutsche Vergangenheit immer mit im Raum. Das führe dazu, stellt Grischa Alroi-Arloser, israelischer Bundesgeschäftsführer der Deutsch-Israelischen Wirtschaftsvereinigung, fest, dass Israelis sich Deutschen gegenüber offener als umgekehrt verhalten, weil sie ihnen im
Normalfall „nur“ Vergangenes entgegenhalten können und sie sich bewusst sind, dass es keine persönliche Verantwortung der Nachgeborenen gibt. Deutsche hingegen sind auch einzelnen Israelis gegenüber zunehmend distanziert, weil sie ihnen kollektive Verantwortung für die Politik Israels
gegenüber den Palästinensern aufbürden, die in Deutschland oft auf Unverständnis stößt. Vier Flugstunden liegen zwischen Israel und Deutschland. Das kann wenig sein, wenn die Menschen oft überrascht feststellen, wie ähnlich ihr Lebensstil ist. Aber eben auch eine schwer überbrückbare Distanz, wenn es um die Lehren aus jener Vergangenheit geht, die beide Seiten so unweigerlich
miteinander verbindet. Denn wo die Deutschen „Nie wieder Krieg“ rufen, heißt es bei den Israelis: „Nie wieder schwach sein“. (S. 125)
... Der Betrachter von außen sieht Israel gerne durch die Brille seiner eigenen Identität und Vergangenheit. Deshalb reden Europäer, wenn sie den Nahen Osten meinen, häufig über sich selbst. Im Fall der Deutschen liegt es auf der Hand, dass dabei der Holocaust – ausgesprochen oder unausgesprochen – immer präsent ist. (S. 138)

... Die Kluft zwischen Betrachter und Betroffenen macht eine Umfrage der EU-Kommission von 2003 deutlich. Danach sahen immerhin 65 Prozent der Deutschen (und 59 Prozent aller Europäer) in Israel „eine Gefahr für den Weltfrieden“. Und einer Umfrage vom Januar 2009 zufolge, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Magazins „Stern“ unter anderem zum damals herrschenden Krieg im Gazastreifen durchführte, sagte fast die Hälfte (49 Prozent) der Befragten,
Israel sei ein aggressives Land. 59 Prozent erklärten, es verfolge seine Interessen ohne Rücksicht auf andere Länder, und nur 30 Prozent zeigten sich überzeugt, dass die israelische Regierung die Menschenrechte achte. Diese hohen Prozentzahlen lassen sich auf objektive Tatbestände allein nicht zurückführen, vielmehr spielen bei ihrem Zustandekommen Entlastung und Schuldabweisung eine große Rolle.(S. 139)


... Dass der jüdische Staat trotz seiner militärischen Macht nach wie vor um seine Existenz kämpft, wird ignoriert oder verdrängt. Aus sicherer Entfernung lassen sich die universalen humanistischen Grundsätze, die viele Deutsche nach dem Holocaust verinnerlicht zu haben glauben, leicht hochhalten und gegebenenfalls eben auch – oder gerade – gegen Israel wenden. (S. 140)

... Wie aber kommt es zu dieser unterschiedlichen Wahrnehmung in Israel einerseits und außerhalb Israels andererseits? Der Philosoph Mosche Halberthal erklärt dies mit der „Kluft zwischen den aktuellen Bildern etwa aus dem Gazakrieg Anfang 2009 und der geopolitischen Situation. Da steht ein Kamerateam des arabischen Fernsehsenders Al-Dschasira am Eingang zum Schifa-Krankenhaus in Gaza und zeigt, wie die Verwundeten hineingebracht werden. Dem ausländischen Fernsehzuschauer vermitteln solche Bilder den Eindruck, dass der Goliath Israel diese armen Leute zerschmettert. Die israelische Sicht ist eine ganz andere. Für die Israelis sind Hamas und Hisbollah, deren Raketen letztlich ganz Israel erreichen können, die Speerspitze einer viel größeren, unsichtbaren Bedrohung. Sie fühlen sich wie der winzige David gegenüber einem immensen muslimischen Goliath. Die Frage ist: Wer ist hier David und wer ist Goliath?“(S. 141)

... In Israel sorgt man sich, dass in Zukunft die Grenze zwischen legitimer Kritik an israelischer Politik und gezielten Delegitimierungsversuchen – vor allem auch aus intellektuellen linken Kreisen in Europa – verwischt werden könnte. Dazu gehören Boykottaufrufe gegen eine Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiet, zum Teil sogar von israelischen Postzionisten mit unterstützt. Kritisiert wird da im Kern aber nicht nur die Besatzungspolitik, sondern der jüdische Staat als solcher ist im Visier.(S. 141)

... Aber darf man Israel als Deutscher denn überhaupt kritisieren? Diese Frage wird häufig gestellt. In vielen Fällen drückt sie echte Unsicherheit aus. Oft hat sie aber auch rhetorischen Charakter und
birgt den unterschwelligen, aber unbegründeten Vorwurf in sich, jeder kritische Einwand würde von israelischer Seite doch nur als Antisemitismus- Beweis abgetan. Denn in der Regel sind es vor allem Tonfall und Wortwahl, die über die Grenze zwischen legitimer Israel-Kritik und –offenem oder verstecktem – Antisemitismus bestimmen. (S. 142)


Was ist Antisemitismus?

In einer Debatte im Zusammenhang mit den Thesen von Shlomo Sand (Die Erfindung des jüdischen Volkes, 2010) verweist Stefan Meißner auf vier Kriterien, Gisela Dachs auf die drei Ds, die legitime, nicht anti-semitische Kritik an Israel beachten sollte und beruft sich dabei auf ein Dokument aus dem Bildungsangebot von YadVashem :

1. Israel muss mit dem gleichen Maß gemessen werden wie andere Staaten und Völker auch. (Doppelstandards)

2. Kritik an Israel darf keinen Zweifel am grundsätzlichen Existenzrecht Israels aufkommen lassen.  (Wie bei anderen Staaten auch.) (Delegitimierung)

3. Antijüdische Stereotype sind zu vermeiden. (Wie die Verwendung anderer Stereotype auch.) ( Dämonisierung)

4.  Eine Leugnung oder Relativierung des Holocausts verbietet sich.

(in Anlehnung an ein Dokument von YadVashem Antisemitismus FAQ  bzw. Israelische Botschaft Diffamierungskampagne S. 5-6)

Von einem Bekannten wurde ich auf diesen Link (Plakate zur Apartheid Week) hingewiesen. Die Seite bietet übrigens eine interessanet Ergänzung unserer allgemein verbreiteten Perspektive und nennt sich Elder of Zion (mehr unter FAQ).


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